Stuttgarter Gespräche zur historisch-politischen Kultur

Laizismus versus Religionsfreiheit? Historische und aktuelle Anmerkungen zu einer intensiv geführten Debatte

Rund 100 Personen kamen am 13. April 2013 zusammen, um sich mit dem Themenbereich Laizismus (frz. laizité) oder Laizität auseinanderzusetzen; Ein Thema, über das derzeit mit zum Teil großer Emotionalität diskutiert wird und dessen Durchdringung - wie Referate und Diskussionbeiträge zeigten - durch die Kenntnis historischer Zusammenhänge erleichtert wird. 

Die Veranstaltung hatte das Ziel, die Geschichte der Trennung von Kirche und Staat zu beleuchten und für die heutige Diskussion in Kirche und Gesellschaft fruchtbar zu machen. Der Stuttgarter Studientag wurde in diesem Jahr vom Geschichtsverein und der Akademie der drs und dem Stadtdekanat Stuttgart geplant und vom Geschichtsverein realisiert. Am Vormittag waren der Kirchenhistoriker Dominik Burkard (Würzburg), der Historiker Klaus Große Kracht (Münster) und der Religionssoziologe Rolf Schieder (Berlin) eingeladen, die kirchengeschichtlichen und sozialhistorischen Grundlagen und die sich daran entzündenden Diskussionen innerhalb von Wissenschaft und Gesellschaft aufzuzeigen. Die Referenten informierten über die Diskurse und Denkmuster, die zwischen Französischer Revolution, Kaiserreich, Weimarer Republik und Nachkriegszeit das Bild - oder besser: die Bilder und Deutungen - und das Verhältnis von Kirche, Staat und Gesellschaft prägten.  

Dominik Burkard und Klaus Große Kracht zeigten zunächst anhand des Begriffs Laizismus auf, wie disperat und mehrdeutig das Thema in dern zurückliegenden 200 Jahren behandelt wurde: Kirchenkritiker nutzten den Begriff ebenso wie Vertreter der Kirche. In beiden Gruppen, so führte Dominik Burkard aus, sei er in unterschiedlicher Art und Weise verwendet worden. Der Rottenburger Bischof Carl Joseph Leiprecht habe etwa den Laizismus nicht mehr als kirchenfeindliche Bestrebung betrachtet. Anders als seine Vorgänger sah er vielmehr Freiheitsrechte der Kirche erweitert und garantiert.  

Für die heutigen finanziellen und strukturellen Verflechtungen von Staat und Kirche - in Württemberg und allen westdeutschen Ländern sowie in den deutschen Diözesen - war die Säkularisation zu Beginn des 19. Jahrhundert prägend. Infolge der Vermögensenteignungen verpflichteten sich die Regierungen, die Existenzgrundlage der katholischen Kirche zu sichern. Die noch heute üblichen staatlichen Ausgleichszahlungen an die Kirche sind hier begründet. Hinzu kamen im 19. und 20. Jahrhundert die realen Auswirkungen des christlichen Solidaritäts- und des Subsidiaritätsprinzips. Die katholische Kirche weitete während der Industrialierung ihr soziales und karitatives Engagement stark aus; So entstand nach 1850 ein dichtes Netz karitativer und sozialer Institutionen. 1945 wurde in Westdeutschland von politischer Seite das Subsidiaritätsprinzip konsequent angewandt. Den kleinen sozialen Einheiten wurde das Vorrecht eingeräumt, gesellschaftliche und karitative Aufgaben vor Ort wahrzunehmen, bevor größere Einheiten wie Kommunen oder Staatsregierungen dies tut. Der Staat garantierte den finanziellen Ausgleich für dieses Engagement. 

Der Sozialhistoriker Rolf Schieder fokussierte auf Probleme des Kirchen-Staats-Verhältnisses im 20. und 21. Jahrhundert. Seit langem zeichnete sich deutlich ab, dass sich Deutschland und Europa dauerhaft zu multireligiösen Einheiten entwickelten. Er sprach sich dafür aus, die Zivilisierung der Religionen durch Bildung voranzutreiben. Religiöse Menschen, die mit der Geschichte und den Grundlagen ihrer Religion vertraut sind, seien weniger manipulierbar für politische Zwecke und weniger instrumentalisierbar. Dies sei der Königsweg, durch die in der heutigen multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft die Kooperation zwischen Staat und Kirchen bzw. religiösen Gemeinschaften gelingen könne. 

Publikation: Die Beiträge der Referenten sind unter dem Titel Wie viel Religion verträgt der Staat? (Verlag Grunewald) veröffentlicht. 

Unter der Fragestellung ist Religionsfreiheit nun Freiheit von Religion oder doch Freiheit für Religion? stellten am Nachmittag in Impulsreferaten Christian Hermes (Stuttgart), Mahmoud Abdallah (Tübingen), Armin Pfahl-Traughber (Brühl) und Fabian Wittreck (Münster i.W.) die Haltung der katholischen Kirche, der Islamwissenschaft, der Politologie und der Rechtwissenschaft dar. Wie zu erwarten war, fiel die Beurteilung der Frage disparat aus. Die Zuhörern wurden durch Thesenpapiere in die Lage versetzt, sich noch intensiver mit den jeweiligen Argumentationssträngen zu beschäftigen. Diese Papiere sind in der Website des Geschichtsvereins unter www.gv-drs.de/veranstaltungen/stuttgarter-gespraeche abrufbar oder können bei der Geschäftsführung angefordert werden. 

Die den Studientag abschließende Diskussionsrunde wurde von Hanjörg Schmid (Stuttgart) moderiert. Hierin wurde deutlich, wie kontrovers die Ansichten über das heutige Zusammenwirken religiöser und staatlicher Sphären beurteilt wird. Allerdings wurde auch klar, dass die derzeitige Politik keine rigide Trennung von Kirche und Staat forciert. 

Einladungsfoyer Programm    Diskussionsrunde: Texte Reader Schlaglicher

Einige Bilder des Tages:

Im großen Saal des Hauses der Katholische Kirche in Stuttgart. Am Rednerpult Klaus Große Kracht
Drei Referenten zeigten die historischen Bedingungen und Zusammenhänge des Themas auf: v.li: Dominik Burkard, Klaus Große Kracht, Rolf Schieder.
Die aktuelle Diskussion war am Nachmittag zentral. Kurzbeiträge ("Schlaglichter", vgl. Reader) der vier eingeladenen Referenten legten einen weiteren Grundstein für die anschließene moderierte Diskussion und die abschließende Plenumsdiskussion. V.li: Armin Pfahl-Traughber, Florian Wittreck, Hansjörg Schmid (Moderator), Mahmoud Abdallah, Christian Hermes.