Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte

Die Inszenierung des modernen Papsttums.  Von Papst Pius IX. bis Franziskus 

Vorwort von Claus Arnold:
B
and 36 dokumentiert in seinem Themenschwerpunkt die Studientagung des Jahres 2016, die unter dem Titel „Die Inszenierung des modernen Papsttums – von Pius IX. bis Franziskus“ gemeinsam von Geschichtsverein (Prof. Dr. Claus Arnold, Dr. Maria E. Gründig) und Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart (Dr. Petra Kurz) in Weingarten durchgeführt wurde. Die Motivation für diese Themenwahl war eine doppelte: Einerseits hatte der eindrucksvolle Wechsel von Papst Benedikt XVI. zu Papst Franziskus Fragen der päpstlichen Selbstdarstellung neu auf die Agenda gesetzt, andererseits drängten die Trends der neueren historischen Kulturwissenschaften, in denen Fragen der Inszenierung, der Medialisierung, der symbolischen Kommunikation und überhaupt der „visual history“ eine große Rolle spielen. Insgesamt ging es darum, den durch die Vergangenheit informierten Blick auch dezidiert auf die kirchliche und mediale Gegenwart zu richten.

Der Pontifikatswechsel des Jahres 2013 war mit einem deutlichen Stilwandel verbunden und versetzte eine breitere Öffentlichkeit ins Nachdenken darüber, welche Bedeutung Äußerlichkeiten haben können. Papst Franziskus hat sich dabei von Beginn an als Meister der Performativität gezeigt und ist damit in den Spuren seines Namensgebers gewandelt, nämlich des Heiligen Franziskus, der unter anderem mit seinem Krippenspiel gewissermaßen ein „Performance-Künstler“ der abendländischen Kirchengeschichte war. Elemente von Performativität gehörten freilich schon zum Handeln der alttestamentlichen Propheten und natürlich auch zum Handeln Jesu. Papst Franziskus hat gleich durch seinen ersten Auftritt auf der Benediktionsloggia des Petersdomes in schlichtem Weiß sowie mit seiner Bitte um das Gebet des Volkes über ihn ein starkes Zeichen gesetzt. Damit steht er auch in einer Tradition des modernen Papsttums seit Pius IX. (1846-1878), das die Katholiken immer wieder durch Akte der symbolischen Kommunikation zu mobilisieren verstand.

Für die Studientagung konnten wir ein Team von Referenten gewinnen, die sich als (Kirchen-) Historiker und Theologen in der jüngsten Zeit vor allem auch in kulturwissenschaftlicher Hinsicht mit dem Thema Papsttum beschäftigt haben. Günther Wassilowsky hat sich nicht nur intensiv mit dem II. Vaticanum als „Symbolereignis“ und dem Konzil von Trient als „Mythos“ befasst; im Rahmen des Münsterischen Sonderforschungsbereich „Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme“ war er zugleich Leiter des Teilprojektes „Päpstliches Zeremoniell in der Frühen Neuzeit“ und ist damit wie kein anderer dazu befähigt, den Band thematisch zu eröffnen und dabei die Brücke von der Inszenierung des vormodernen Papsttums hin zu den Päpsten der Moderne zu schlagen. Christian Brunke, ein Doktorand von Günther Wassilowsky, nimmt diesen Faden direkt auf, indem er zeigt, wie sich die traditionale Gestaltung der Amtsergreifung des Papstes im 19. und 20. Jahrhundert transformiert hat.

René Schlott hat in seiner maßgeblichen Studie „Papsttod und Weltöffentlichkeit seit 1878“ dargelegt, wie die massenmediale Berichterstattung und Deutung des Papsttodes seit Pius IX. auch auf das alte Ritual zurückgewirkt hat. Mit den Fällen von Pius IX. und Leo XIII. führt er uns an den Beginn des massenmedialen Zeitalters und eröffnet so eine lockere, chronologisch geordnete Reihe von Exempeln, die ich selbst mit dem schwierigen Pontifikat von Pius X. und seiner zeitgenössischen wie posthumen medialen Aufbereitung fortsetze.

Federico Ruozzi ist durch eine große Studie darüber hervorgetreten, wie das II. Vaticanum vor allem auch durch die Fernsehberichterstattung als Ereignis erfahren und wirksam wurde; er hat sich aber auch mit einem der größten päpstlichen Selbstdarsteller beschäftigt, nämlich mit Pius XII., der mitten im Zweiten Weltkrieg mit „Pastor Angelicus“ ein wirkmächtiges Filmdokument schaffen ließ.

Mit Hermann-Joseph Reudenbach, dem langjährigen Direktor der Aachener Diözesanbibliothek, wird ein Theologe auch die Perspektive des Zeitzeugen einbringen und einen Blick auf Erscheinungsbild und den Stil von Papst Paul VI. werfen, den Reudenbach in seiner römischen Studienzeit erleben konnte. Mit dem Namen dieses Papstes verbindet sich die wohl tiefgreifendste Modernisierung in Liturgie und päpstlicher Selbstdarstellung im 20. Jahrhundert. Reudenbach ist zugleich ein Experte für die Geschichte von Liturgie und Ritual, und hat sich unter anderem mit der römischen Zeremonialkongregation beschäftigt.

Benjamin Städter hat das kulturwissenschaftliche Programm des pictorial oder iconic turn, die Hinwendung zu den Bildern, wie kaum ein anderer für den kirchlichen Bereich ausbuchstabiert und eine gewichtige „Visual History“ von Kirche und Religion in der Bundesrepublik von 1945 bis 1980 vorgelegt. Dabei ging er ausführlich auf die massenmediale Rezeption von Pius XII. und Paul VI ein. In seinem aktuellen Beitrag konzentriert er sich auf das II. Vaticanum und Papst Johannes XXIII.

Mit Jörg Seiler setzt ein ein kulturwissenschaftlich arbeitender Kirchenhistoriker den Reigen fort. In früheren Arbeiten hat er ausgehend vom katholischen Sonntagsblatt der Diözese Rottenburg beschrieben, wie schon im 19. Jahrhundert eine somatische, eine körperliche Solidarität zwischen den schwäbischen Katholikinnen und Katholiken mit dem leidenden Papst Pius IX. durch die mediale Berichterstattung erzeugt wurde. In seiner spannenden Erfurter Antrittsvorlesung hat er sich mit „Franziskus. Zur Performanz von Niedrigkeit“ beschäftigt und dabei auch das interessante Vergleichsfeld der Performativität von Akten des Hl. Franziskus und des gegenwärtigen Papstes angesprochen. (jetzt dokumentiert im „Jahrbuch für mitteldeutsche Kirchen- und Ordensgeschichte“ 2016). Nun wendet er sich den Päpsten auf Reisen zu und bietet nach einem Rückblick auf Paul VI. und Johannes Paul II. eine Studie zu den Flugzeuginterviews von Benedikt XVI. und Franziskus.

Noch weiter in die Gegenwart führt dann der bekannte römische Journalist und Vaticanist Marco Politi, der in einem hier dokumentierten, seinerzeit sehr gut besuchten Abendvortrag seine Sicht auf die revolutionäre inhaltliche und formale Gestaltung des Papstamtes durch Papst Franziskus vorstellt.

Erfreulicherweise können in diesem Band bereits auch die Vorträge des Studientages anlässlich der Jahresversammlung mit dem Thema „Die Comburg in Mittelalter und Neuzeit“ (22. Oktober 2016) dokumentiert werden, die im Kloster Großcomburg ein zahlreiches Publikum aus Mitgliedern des Geschichtsvereins und Gästen begeistert hatten. Der Historiker Gerhard Lubich hat sich intensiv mit der Genese und Prägung adliger Herrschaftsräume im fränkisch-schwäbischen Grenzgebiet beschäftigt, und er ist wie kein anderer dazu prädestiniert, die mittelalterliche Geschichte des Klosters Comburg im Kontext regionaler Gruppenbildungen zu erschließen. Der Kirchenhistoriker Winfried Romberg hat sich besonders mit der Geschichte der Würzburger Bischöfe im Rahmen der Germania Sacra beschäftigt und zwei gewichtige Bände zu diesem Thema vorgelegt. Er führt in die bewegte Geschichte des Klosters Comburg im Zeitalter von Reformation und Gegenreformation/Katholischer Reform ein.

Wie immer beschließt den Band ein umfangreicher Rezensionsteil, der Neuerscheinungen aus der Kirchengeschichte und ihren Nachbardisziplinen vorstellt.

Seit 2004 hat Weihbischof Dr. Johannes Kreidler als zuständiges Mitglied der Diözesanleitung den Geschichtsverein und seine Veranstaltungen mit Rat und Tat, mit historisch wie theologisch gebildetem Interesse und Wohlwollen begleitet. Zugleich hat er im Jahr 2016 nicht nur sein 70. Lebensjahr vollendet, sondern auch den 25. Jahrestag seiner Bischofsweihe begehen können. Der herzliche Dank und die Gratulation des Geschichtsvereins seien ihm an dieser Stelle noch einmal ausgesprochen. Ad multos annos!

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