Studientage | Workshops

2010 workshop für Studierende: Bericht + Bilder zu Ravensburg

Auch der diesjährige Workshop hatte das Ziel, bei den Studierenden das Interesse für ein vertieftes Studium der Kirchengeschichte zu stärken und theoretisches historisches Wissen durch die Besichtigung am Originalschauplatz zu veranschaulichen 
"Originalschauplätze" waren zum einen: Ravensburg, eine paritätische, ehemalige Reichsstadt mit Gebäuden, in denen Geschichte gemachtwurde; Ein städtisches Archiv, in dem wichtige und auserlesene archivalische Quellen (u.a. ein Ablassbrief aus dem 16. Jahrhundert) gehütet und (in Kopie) zur Bearbeitung bereit lagen, sodass die Teilnehmer den Umgang mit Archivalien kennenlernen konnten. 

Stadtarchivar Dr. Andreas Schmauder bot der Gruppe eine Einführung in die Geschichte der ehemaligen Reichsstadt Ravensburg, in dem er durch das Museum Humpiss, v.a. aber durch Abteilung Religionsparitätführte.

An weiteren historischen Orte wurde anschaulich, wo die nachreformatorischen Veränderungen beraten und umgesetzt wurden. Der Westfälische Friede hatte 1648 verfügt, dass die Ratssitze zu gleichen Teilen an beide "Religionsparteien" zu vergeben waren. Im historischen Ratssaal hatte der paritiätische Stadtrat die Feinheiten der Umsetzung des Friedensschlusses beschlossen. Hier wurden z.B. die städtischen Stellen vergeben: Nach 1648 wurden fast alle städtischen Stellen paritätisch besetzt: Stadtschreiber und Büttel, aber auch Hebammen und Ärzte wurden nach der paritätischen Regel vergeben. An diese Regel hielten sich die Menschen in Ravensburg auch im Alltag: Man kaufte selbstverständlich beim jeweiligen "Konfessionsverwandten" ein und beauftragte die Handwerker der eigenen Konfession. Der Stadtrat sorgte auch hier durch die Bürgerrechtsvergabe (oder-verweigerung) dafür, dass die Handwerkerschaft ausgewogen blieb.

Die "unsichtbare Grenze" (Etienne Francois) zeigte sich auch im Spital, in welchem dieselbe Zahl an Katholiken und Protestanten aufzunehmen war, was nicht immer mit dem tatsächlichen Bedarf entsprach - immerhin waren im 17. Jahrhundert etwa 70 Prozent der Einwohner katholisch. Auch hier suchte man durch Segregation Konflikte zu verhindern: Während die Evangelischen ihre Räume gen Süden - vielleicht schon damals mit Blick ins Grüne - bewohnten, schauten die Katholiken auf die lebendige Straße. Zwei Treppenhäuser verhinderten außerdem, dass man sich zu oft zu nahe kam.

Die Spitalkirche (Bild oben) war dagegen für Katholiken und Protestanten offen - wenn auch nicht durchgängig und auch nicht konfilktlos organisierbar.

In der ehemaligen Kapuzinerkirche, die lange Zeit beiden Konfessionen zur Nutzung zustand, bevor der neue Landesherr Württemberg sie 1810 der evangelischen Kirchengemeinde übertrug, wurde anschaulich, wo die bauliche Grenze verlief: Während der Chor von den Katholiken allein genutzt wurde, stand das Langhaus, vor allem aber die Kanzel, den evangelischen Christen zu. Auch hier kam es wiederholt zu Konflikten, die wie im Kanzelstreit von außen gesteuert waren.

Eine Arbeitsrunde am Abend beschloss den Tag. Hier konnten Fragen gestellt werden, so dass eine gute Nachbereitung des Gehörten bzw. Erlebten und eine Vorbereitung für den Folgetag erreicht wurde.

Am Samstag arbeitete die Gruppe im Stadtarchiv, durch das wiederum Dr. Andreas Schmauder führte. Die Teilnehmenden machten sich zudem mit der Praxis archivalischen Arbeitens bekannt, indem sie Dokumente aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges entzifferten und transkribierten.

Rasch wurde klar, wie sehr die Stadt unter den kriegerischen Auseinandersetzungen des Dreißigjährigen Krieges zu leiden hatte. Hatten die Evangelischen (v.a. Schweden) eine wichtige Schlacht gewonnen, so suchten sie die Katholiken unter Druck zu setzen. Hatten die Katholiken Kriegserfolg, geschah dasselbe mit den Evangelischen. Dass das Kaiserhaus ein gutes Wörtchen mitzureden hatte, komplizierte alles. 1648 wurde die Konfessionsparität in Ravensburg, Biberach, Augsburg und Dinkelsbühl eingeführt. Diese erwies sich bis zu ihrem Ende zu Beginn des 19. Jahrhunderts als tragfähige Regel, die langfristig innerstädtischen konfessionellen Frieden sicherte.

die von der Gruppe transkribierten Texte - hier im Original. 17. Jahrhundert.

Betreuend mit dabei waren:

Professor Dr. Andreas Holzem, Tübingen
Archivdirektor Dr. Wolfgang Zimmermann, Stuttgart
Stadtarchivar Dr. Andreas Schmauder, Ravensburg
Kulturwissenschaftlerin Dr. Maria E. Gründig, Stuttgart

Humpiss-Quartier | Tagungshaus Weingarten

Diese Veranstaltung wurde von der Gesellschaft Oberschwaben und der Universität Tübingen unterstützt. 
Stadtarchivar Dr. Andreas Schmauder gebührt unser besonderer Dank.

Bericht über den Workshop 2008 in Buttenhausen